Die Supermom

Die Wohnung ist blitzeblank. Heute gab es wie in den letzten Tagen auch ein Mittagessen aus frischgekochten Biozutaten, die pädagogisch wertvollen Motorikspielzeuge aus kinderfreundlichem Bioholz liegen sauber aufgereiht in der Spieleecke und wenn Christian heute Abend nach Hause kommt, steht der Rotwein mit angezündeten Kerzen schon bereit und der entspannte Abend kann beginnen, nachdem der Kleine natürlich ab 19 Uhr frisch geduscht im Land der Träume schlummert. — 

So stelle ich mir die Situation in anderen Familien vor, wenn ich abends abgekämpft auf dem Sofa sitze und ich keine Energie mehr habe, Spielzeug, Wäsche, schmutziges Geschirr, tausend Krümel und Hundehaare auf dem Boden auf- und wegzuräumen. Ich frage mich in regelmäßigen Abständen, wie andere Mütter das schaffen. Und das auch mit mehr als „nur“ einem Kind.

Ist man nur dann eine gute Mutter, wenn man so lange wie möglich stillt, Beikostpläne auswendig lernt, Baby-led weaning Trends aufgreift, Bio-Stoffwindeln nutzt, das Baby in keine Fremdbetreuung gibt, jeden Tag Bio-Mahlzeiten frisch zubereitet, das Kind mindestens zweisprachig erzieht sowie beim Babyschwimmen, Pekip, Babymassage, musikalische Früherziehung und Babyyoga immer in der ersten Reihe sitzt?

Natürlich ist es wichtig, sich um sein Kind zu kümmern. Kindgerecht, verantwortungsbewusst, voller Liebe und Geduld. Aber wieso hat man als Mama manchmal das Gefühl, mit dieser Aufgabe 25 Bälle gleichzeitig in der Luft jonglieren zu müssen? Und wieso hat man das Gefühl, dass man sich direkt in die Schäm-Dich-Ecke setzen muss mit einem Hut, der die Aufschrift trägt „Schlechteste Mutter des Monats“, wenn man, aus Zeitnot, mal ein Gläschen füttert oder das Kind schon frühzeitig in die Fremdbetreuung gibt? 

Wir handhaben das inzwischen mit der „80% ist das neue 100%“ Regel. Es ist ok, wenn die Wohnung nicht jeden Tag gestaubsaugt wird (auch wenn mir das mit einem Hund, der aktuell sein Winterfell verliert unheimlich schwer fällt). Es ist ok, wenn sich die Wäsche mal stapelt und wir morgens statt alles frisch aus dem Schrank zu holen, die Unterwäsche direkt aus dem Trockner angezogen wird. Wenn ich mal zu müde zum Kochen bin oder einfach die Zeit zum Einkaufen oder Kochen fehlt, dann gehen wir essen oder wir bestellen uns etwas nach Hause. Ich gehe inzwischen zum Sport oder auch zur Maniküre, wenn der Kleine mit seiner Nanny zum Spielplatz geht und fühle mich dabei nicht wie eine Rabenmutter. Ich kann nicht alle Kinderlieder, Fingerspiele, Reime auswendig, aber ich habe ein unfassbar glückliches Kind, wenn er auf meinem Bauch Blubbergeräusche machen kann und mir fünf nasse Küsse hintereinander gibt. Im Restaurant darf unser Kind auch mal Apfelschorle trinken oder Pommes essen. Er darf auch mal ein Stück vom Käsekuchen probieren und ich habe auch schon vergessen, ihm morgens die Zähne zu putzen. Bin ich deshalb eine schlechte Mutter? Nein.

Rückblickend auf das erste Jahr mit unserem Sohn, kann ich folgendes Resümee ziehen. Mein Bauchgefühl und ich wissen am besten, was unser Kind und wir als Familie benötigen, um glücklich zu sein. Wenn ich als Mama mit 80% happy bin, dann hat meine Familie viel mehr davon, weil ich entspannter und zufriedener bin. Weil ich mich nicht unter Druck setze und mich wie ein Versager fühle, weil ich mein Pensum der „perfekten Mutterschaft“ nicht geschafft habe. Und ich denke, so geht es vielen Mamas. Jede Mama möchte doch das allerbeste für ihr Kind und ihre Familie. Und jede Mama kennt den Weg dahin am besten. Kein anderer kann mitreden, keiner sollte ungefragt Tipps geben, keiner sollte urteilen, ohne die Hintergründe zu kennen. Denn wir alle sind, auf unsere Art, Supermoms. Wir alle versuchen in unserem Alltag, die zahlreichen Bälle in der Luft zu jonglieren und dafür sollten wir Mamas uns jeden Tag ein bisschen mehr feiern.